"Der
ökologische Rucksack"
Herausgeber:
Friedrich Schmidt-Bleek
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Wo
die MIPS-Idee Köpfe zum Denken und Steine
ins Rollen gebracht hat.
Warum in manchen
Fällen Einweg ressourceneffizienter sein
kann als Mehrweg (Gert
Irgang, Walter Leiler)
Bei den Windeln
haben wir es ebenso wie beim Geschirr und
den Handtrockensystemen schwarz auf weiß
vorgerechnet bekommen: Mehrweg ist ressourceneffizienter
als Einweg. Doch ist das immer so? Gert Irgang
aus Vorarlberg und Walter Leiler aus Wien
haben sich im folgenden Beitrag mit einem
Einweg-Mehrweg-Vergleich von Putzlappen beschäftigt
und zeigen, dass das Ergebnis auch ganz anders
ausfallen kann: Mehrweg ist nicht immer automatisch
die ökologische sinnvollere Variante.>>
Erfolg mit Altkleidern |
Seit den Anfängen der
Umweltbewegung wurde immer wieder leidenschaftlich
über die ökologische Bewertung von Einweg-
und Mehrweg-Systemen diskutiert. Im Mittelpunkt
dieser Debatte stand meist das Thema Getränkeverpackungen.
So genannte LCA-Methoden führten regelmäßig
zu vielseitig interpretierbaren Ergeb-nissen. Das
Anwachsen der Abfallberge wurde oft den steigenden
Marktanteilen von Einwegverpackungen an-gelastet.
Andererseits war klar, dass die bei Mehrwegverpackungen
zumindest von Lebensmitteln notwendige Reinigung
vor der Wiederbeschickung ganz erhebliche Ressourcenaufwendungen
verursacht und in gewissen Fällen praktisch
nicht durchführbar ist - ganz zu schweigen
von Verlusten durch Beschädigungen oder Bruch.
Grundsätzlich
ist ein eindeutiger und orientierungssicherer, transparenter
und kosteneffizienter Vergleich des ökologischen
Stresspotenzials von funktionell vergleichbaren
Technologien nur dann zu erwarten, wenn vorweg die
Frage geklärt ist, welche materielle Schlüsselursache
für die ökologischen Stresspotenziale
von technischen Lösungen aller Art verantwortlich
ist. Unternehmer, insbesondere mit kleinen und mittleren
Betrieben, können sich selten umfassende wissenschaftliche
Untersuchungen leisten, weder zeitlich noch finanziell.
Sie sind zuallererst an verlässlichen Plus-/Minus-Abschätzungen
interessiert, um Entscheidungen treffen zu können.
In wirtschaftlich bedeutsamen Grenzfällen können
detailierte Analysen angebracht sein. Für eine
robuste und schnelle Abschätzung der Ökoeffizienz
von Produkten und Systemen wurde MIPS entwickelt,
dass sich seit 10 Jahren in dieser Rolle glänzend
bewährt; die anfänglichen wissenschaftlichen
und emotionalen Bedenken werden nur noch selten
laut.
Die Firma Hans Sperger GmbH & Co KG in Vorarlberg
bietet sowohl Einweg- als auch Mehrweg-Putzlappen
an, wobei den Kunden zumeist die Einweglösung
empfohlen wird - nicht nur, weil sie (inklusive
Entsorgungs-kosten) rund 40 % billiger ist, sondern
auch weil die Analyse der Ressourcenproduktivität
der beiden Optionen für den Einweg spricht.
Die dieser Erkenntnis zugrunde liegende Untersuchung
wurde von den beiden Autoren dieses Beitrags mithilfe
des MIPS-Ansatzes durchgeführt.
Bei dieser
Untersuchung wurde der gesamte Lebenszyklus - "von
der Wiege bis zurück zur Wiege" (soweit
sinnvoll) - der beiden Systeme betrachtet. Sie führte
zu dem überraschenden eindeutigen Ergebnis,
dass das Einweg-System um etwa den Faktor 8 ressourceneffizienter
ist als das von derselben Firma angebotene Mehrweg-System.
Neben dem ökologischen
und ökonomischen Vorteil der Einweg-Putzlappen
wird bei dem hier unter-suchten Beispiel auch eine
soziale Dimension erkennbar, die gewissermaßen
als Modell für eine zukunfts-fähige wirtschaftliche
Tätigkeit Pate stehen könnte. Das Geheimnis
der Einweg-Putzlappen liegt nämlich darin,
dass sie aus Altkleidern hergestellt werden. Die
Diözese Feldkirch in Vorarlberg führt
periodisch Altkleider-sammlungen durch, bei denen
sich nur 70 % der gesammelten Kleider für eine
Wiederverwendung eignen, während die restlichen
Kleidungsstücke aus verschiedenen Gründen
nicht mehr getragen werden können. Von diesen
Textilien werden nur jene ausgesondert, die aus
Baumwolle bestehen. Karitative und soziale Einrichtungen
wie die "Beschützenden Werkstätten"
und die "Jugendwerkstätte Dornbirn"
befreien diese Kleidungsstücke im Auftrag der
Firma Sperger von Knöpfen, Reißverschlüssen
etc., schneiden sie auf die optimale Größe
zu und erstellen versandfertige Pakete. Auf diese
Weise werden jährlich 200 t Putzlappen aus
Altkleidern erzeugt und damit 25 Arbeitsplätze
für behinderte, in Not geratene oder ansonsten
erwebslose Menschen geschaffen bzw. gesichert.
Nach der Verwendung
werden die Einweg-Putzlappen einer geeigneten Entsorgung
zugeführt. Eine lokale Entsorgungsfirma, die
vom Kunden direkt bezahlt wird, übernimmt diese
Aufgabe, wobei die Erfahrung zeigt, dass der Großteil
der gebrauchten Putzlappen aufgrund der Verunreinigungen
als gefährlicher Abfall zu be-handeln und in
einer Verbrennungsanlage thermisch zu verwerten
ist.
Die industriell
gefertigten Mehrweg-Putzlappen werden zugekauft
und im Rahmen von Sammeltouren an die Kunden ausgeliefert,
wobei gleichzeitig die verschmutzten Putzlappen
wider mitgenommen und zur Reinigung in eine Wäscherei
gebracht werden. Bei jedem Waschvorgang müssen
ca. 5 % der Mehrweg-Putzlappen er-setzt werden;
ein Mehrweg-Putzlappen erzielt im Durchschnitt also
ca. 20 - 25 Umläufe. Da es sich um hoch-gradig
verschmutzte Textilien handelt, dürfen nur
wenige Spezialwäschereien die Reinigung übernehmen.
Lange Transportwege sind die Folge. Der Waschvorgang
und der Transport verbrauchen große Mengen
an Ressourcen.
Die ökologischen
und sozialen Vorteile der Einweg-Putzlappen allein
reichen nicht aus, um Kunden zu überzeugen:
Die Qualität und das Preis-Leistungs-Verhältnis
sind aus Kundensicht in der Regel entscheiden-der.
Der ökonomische Erfolg diese Produkts liegt
daher hauptsächlich darin, dass es der Firma
gelingt, qualitativ einwandfreie Putzlappen mit
einem günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis
zu liefern. Die ökologische und soziale Nachhaltigkeit
ist ein Zusatzpunkt, der bei unschlüssigen
Kunden zum Tragen kommt, also eine klassische USP
(Unique Selling Proposition, Alleinstellungsmerkmal),
die ihre Sogwirkung am Markt nicht ver-fehlt.
Wenn man bedenkt,
dass in Österreich jährlich ca. 6000t
Putzlappen verbraucht werden, so erkennt man die
Chancen für die Firma Sperger, aber auch für
viele Arbeitslose, wenn dieses wirtschaftlich erfolgreiche
und nachhaltige Modell auf das gesamt Bundesgebiet
- oder gar in Nachbarländer - ausgedehnt würde.
Das Beispiel der Einweg-Putzlappen zeigt einen weiteren
wichtigen Aspekt auf: Zur Sicherung ihrer Wett-bewerbsfähigkeit
tätigen Unternehmen hohe Aufwendungen, um innovative
Produkte auf den Markt zu bringen - mit den Folgen,
dass die Produktlebensdauer kontinuierlich sinkt
( die Computer-Branche ist ein gutes Beispiel hierfür)
und gleichzeitig immer komplexere Produkte angeboten
werden. Wenn die Produkte immer komplexer werden
und sich gleichzeitig ihre Lebendauer verkürzt,
werden die Kosten für die Entwicklung und auch
die Rucksäcke neuer Produkte immer größer,
und die Zeitspannen, in denen sie ihre Entwicklungskosten
einspielen können, immer kürzer. Die erhöht
die unternehmerischen Risiken entscheidend. Somit
werden Return-of-Investments-Effekte kaum mehr möglich.
Die Aufwendung für Forschung, Entwicklung und
Produktion werden immer untragbarer.
Einem außenstehenden
Kunden stellt sich unwillkürlich die Frage:
"Welchen Stellenwert nehmen mein Wünsche
und wirklichen Bedürfnisse eigentlich noch
ein?" Fragt man Unternehmer nach dem Sinn ihrer
Produkte, so zeigen sie sich stets davon überzeugt,
dass die Verbraucher mit diesen Produkten ihre Probleme
besser lösen können und absolut im Mittelpunkt
ihres Interesses stehen. Kurz, "der Kunde ist
König", wie die Reklame unverdrossen verkündet
- warum sonst würden Verbraucher die angebotenen
Produkte kaufen? Aber was sollen Verbraucher denn
tun, außer die Produkte zu kaufen, die auf
dem Markt sind? Nimmt man die Antwort des Unternehmers
ernst, müsste er sich dann nicht fortwährend
damit beschäftigen, welchen Nutzen sich die
Kunden von seinem Produkt versprechen und wie sie
es einsetzen? Er würde dann auch die Innovation
in die entsprechende Richtung lenken.
Hätte Sperger
wie ein "Mainstream-Unternehmer" gehandelt,
wäre sicher irgendwann ein höchst innovativer,
technisch immer schwieriger herzustellender, letztendlich
vielleicht sogar mit Mikrochips versehener Putzlappen
entstanden. Doch er hat sich stattdessen intensiv
mit der Herkunft des Materialinputs MI und mit dem
Nutzen S seines Produkts auseinander gesetzt und
dabei Wert auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze
gelegt. Und den Profit hat er dabei auch nicht vergessen.
Viele nicht
mehr verwendbare Kleidungsstücke bestehen aus
Baumwolle, ein für Putzlappen bestens geeignetes
Material. Per Definition haben sie als Rohstoff
den MI-Wert null (wenn man vom Sammeltransport und
dem Zuschneiden absieht). In handliche Lappen zerschnitten,
sind sie ein Lowtech-Produkt ohne nennenswerte Entwicklungskosten.
Und dennoch erhebt Sperger mit Recht den Anspruch,
Österreichs beste Putzlappen anzubieten. Dieser
Idee verdankt die Firma Sperger jährlich Wachstumsraten
von 20 - 30 %. Erzeuger von Hightech-Produkten können
von solchen Raten - bei wesentlich höherem
Unternehmensrisiko - zumeist nur träumen.
Das Beispiel
der Einweg-Putzlappen zeigt neuerlich auf, dass
ein ökologischer Vergleich von Einweg- und
Mehrweg-Systemen auf einer fundierten Analyse basieren
muss und die aus der Frühzeit der Umweltbewegung
bekannte Formel "Einweg ist schlecht, Mehrweg
ist gut" nicht in dieser prinzipiellen Form
aufrechterhalten werden kann.